Viele Menschen sind in ihrem Alltag mit Antisemitismus konfrontiert, und das schon lange. Wo „Jude“ ein gängiges Schimpfwort ist und israelfeindliche Gerüchte sowie Verschwörungsideologien im Umlauf sind, sind viele zuweilen überfordert. Seit dem Terrorangriff der Hamas und ihrer Verbündeten am 7. Oktober 2023 auf Israel ist der Nahostkonflikt wieder verstärkt in der Öffentlichkeit. Die Debatten darum sind vielschichtig, wobei sich leider immer wieder zeigt, dass sowohl antisemitische als auch rassistische Erzählungen und einseitige Parteinahmen weit verbreitet sind.
Die aktuelle Lage in der Region zeigt es leider einmal mehr: Der arabisch-israelische Konflikt kann jederzeit eskalieren. Polarisierende Beiträge und diverse Meinungskonflikte in sozialen Netzwerken sind eine Folge und man steht der Situation teilweise sprachlos gegenüber. In diesem politischen Klima wird auch der Antisemitismus, der sich am Staat Israel entzündet, zunehmend offen kundgetan. Das reale Leid von Palästinenser*innen und anderen Menschen im Nahen Osten wird dabei instrumentalisiert, um dort und hierzulande Antisemitismus zu verbreiten.
Zwar ist der Nahostkonflikt nicht die Ursache für den Antisemitismus, dennoch werden reale Krisendynamiken in der Region hier dafür genutzt, Antisemitismus zu befeuern. Die Grenze zwischen legitimer Kritik an israelischem Regierungshandeln und antisemitischen Ressentiments zu erkennen, fällt vielen schwer. Die Konfliktgeschichte in Nahost ist komplex und wird allzu oft durch Ressentiments und “Fake News” vereinfacht dargestellt.
Überfordert im Kampf gegen Antisemitismus
Antisemitismus beeinträchtigt nicht allein das Leben der Jüdinnen*Juden in Deutschland. Als menschenfeindliches Welterklärungsmodell verzerrt es die Fähigkeit weiter Teile der Bevölkerung, politische Probleme zu erkennen und zu bearbeiten. Dem israelbezogenen Antisemitismus kommt in den letzten Jahrzehnten dabei eine Schlüsselrolle zu. Israelfeindschaft dient dabei unter anderem als „Umwegkommunikation“, um geächtete und teils strafbewehrte antisemitische Äußerungen weitestgehend sanktionsfrei ausdrücken zu können. Israelbezogener Antisemitismus findet sich im gesamten Parteienspektrum und allen gesellschaftlichen Gruppen. Auf diese Herausforderung hat die politische Bildung bislang noch kaum wirksame Antworten gefunden.
Antisemitismus ist mehr als ein Vorurteil
Aktuelle Studien weisen einen Anteil antisemitischer Einstellungen in der Bevölkerung von 5 bis 10 Prozent aus, in Bezug auf den israelbezogenen Antisemitismus erhöht sich dieser Anteil allerdings auf bis zu 40 Prozent (vgl. Antisemitismus in Deutschland – aktuelle Entwicklungen, Berlin 2017; sowie Israelbezogener Antisemitismus. Formen, Geschichte, empirische Befunde, Berlin 2021).
Antisemitismus – mit und ohne Israelbezug – ist nicht lediglich ein Vorurteil, sondern geht einher mit Reflexionsschwäche und Empathieunfähigkeit sowie dem Unvermögen, Konflikte auszuhalten oder diese friedlich und argumentativ zu lösen. Ebenfalls typisch für antisemitische Einstellungen ist die Neigung zu verschwörungstheoretischen Denkmustern und emotional tief verwurzelten Ressentiments. Damit wird die reale Möglichkeit der Teilhabe an demokratischen Prozessen stark eingeschränkt.
Prävention braucht breitere Aufklärung
Bisherige Präventionsangebote, die sich mit antisemitischer Israelfeindschaft und Israel überhaupt beschäftigen, konzentrierten vor allem auf Konfliktthemen und dann häufig nur auf den Konflikt mit den Palästinenser*innen. Eine solche Einengung des Inhaltes kann die vorherrschende Fixierung des Israelbilds auf Konflikt, Krieg und Gewalt kaum korrigieren. Unser Konzept sieht vor, den arabisch-israelischen Konflikt im größeren Zusammenhang, namentlich der Demokratieentwicklung im Nahen Osten, zu thematisieren – und zu vermitteln, dass Israels Gesellschaft, Geschichte und Gegenwart mehr als Gewalt- und Konfliktthemen ausmacht.
Wichtige Fragen sind daher:
Wie geht Israels Demokratie mit dem Konflikt zwischen Sicherheit und Menschenrechten um? Wie steht es um das demokratische Bewusstsein und hamaskritischen Widerstand in den palästinensischen Gebieten? Wie sieht der Alltag der betroffenen Menschen jenseits von Gewalt aus? Welche Rolle spielt der Antisemitismus im Nahen Osten bei verschiedenen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren?